Wasserspiele

Sie konnte ihn weiterhin einfach nur verwundert ansehen. Und so langsam schien sich auch ihr Verstand wieder einzuschalten. Trotzdem drehte sie sich bereitwillig zu ihm und ließ ihn machen. Nachdem er fertig war, verschwand er in den Duschen und sie zog sich schnell wieder an. Am liebsten wäre sie gerade einfach weggelaufen. Wie immer. Als sie plötzlich den Schlüssel auf der Bank sah, atmete sie erleichtert aus. Schnell griff sie danach und schlich zur Tür. Als sie diese leise geöffnet hatte, ließ sie ausversehen den Schlüssel fallen. Das musste er gehört haben. Wie von der Tarantel gestochen rannte sie zurück in das Hotel. Sie musste mit Jürgen reden. Das mit MüWo war zu viel auf einmal gewesen. Doch sie wusste nicht, wo sein Zimmer war. Also fragte sie schnell an der Rezeption nach. Ihr Blick war immer noch auf die Tür gerichtet. „Zimmer 201“, sagte die nette Dame. „Danke.“ Nicht mal den Fahrstuhl benutzte sie. Vollkommen abgehetzt kam sie vor seinem Zimmer an und klopfte hektisch an. Fast schon panisch sah sie nach links und rechts. Als ihr nicht schnell genug geöffnet wurde, liefen ihr die ersten Tränen über die Wangen. Er hatte ihr wehgetan und Angst gemacht und sie hatte es freiwillig zugelassen. Wie konnte sie nur?

Das Geräusch des Schlüsselbundes auf dem Boden war nicht zu überhören. MüWo stellte das Wasser ab und band sich ein Handtuch um die Hüften. Er trat aus der Dusche und ging in die Kabine. Wie er es sich schon fast gedacht hatte, war von Helena keine Spur mehr und die Tür stand halb offen. Er bückte sich und hob den Schlüssel auf und klinkte die Tür wieder ein. Seufzend setzte er sich auf die Bank. Hatte er es übertrieben und er die Signale falsch gedeutet. Dann hätte ihm sein Medizinstudium aber so rein gar nichts genutzt. Eigentlich war die Körpersprache ja die deutlichste. Seufzend zog er sich wieder an, packte seine Sache zusammen und ging in sein Hotelzimmer zurück. Dort legte er sich erstmal mit dem Rücken aufs Bett und starrte die Decke an. Bis zum Mittagessen blieb noch etwas Zeit.

Immer noch fassungslos hatte er das Training beendet und war in sein Zimmer gegangen. Das musste er wirklich erst einmal verdauen. Sie hatten…MüWo und Helena…allein der Gedanke war abstoßend. Selbst am nächsten Tag beschäftigte ihn das noch. Wie hatte sie das mit sich machen lassen? Hatte Per Recht gehabt? Hatte MüWo da mit irgendwelchen Medikamenten 'nachgeholfen'? Kaum vorstellbar, aber wie hatte es sonst sein können?
Dass es klopfte, bekam er im ersten Moment deshalb überhaupt nicht mit. Nur langsam sickerte diese Info zu ihm durch und er stand auf. Immer noch in Gedanken öffnete er die Tür und zuckte zusammen, als er Helena davorstehen sah. Und sie weinte. Doch so sehr er ihr auch Vorwürfe machen sollte…er konnte es nicht. „Komm rein“, murmelte er und schob die Tür weiter auf. Als er sah, wie sie zitterte, schob er sie vorsichtig zum Bett und legte ihr eine Decke um die Schultern. Wenn sie über irgendetwas reden wollte, würde sie das tun.

Sie war so froh, als sich die Tür öffnete. Flehend sah sie ihn an. Er sollte ihr bitte keine Vorwürfe machen. „Komm rein.“ Er zog sie vorsichtig mit sich und sofort bekam sie wieder ein mulmiges Gefühl. Aber Jürgen würde er nicht dasselbe mit ihr machen. Sie behielt Recht. Denn er legte ihr bloß eine Decke um sie. „Tut...mir...leid.“ Sie konnte sich selbst kaum verstehen, so heftig schluchzte sie. Irgendwann brachen gerade die ganzen Erlebnisse auf sie ein. „I-ich...wusste...n-nicht...wohin...“ Sie wischte sich über die Wangen, aber der Tränenfluss hörte nicht auf. Das eben war zu viel für sie gewesen und sie war definitiv an ihre Grenzen geraten, wenn sie diese nicht sogar übertreten hatte. Und jetzt hatte sie auch noch Schmerzen davon. Sie zog die Decke noch enger um sich. Jürgen schob sie allerdings noch weiter und so landete sie mit ihrem Hintern auf dem Bett. Sie kniff die Augen und gab einen Schmerzlaut von sich. Schnell stand sie wieder auf und wandte sich beschämt ab. Am liebsten hätte sie Jürgen erzählt, was passiert war. Vielleicht konnte sie das ja auch irgendwie. Aber dafür musste sie aufhören zu weinen und zu schluchzen. Als sie wieder zu ihm sah, bemerkte sie seinen besorgten Blick. „I-ich...e-er...h-hat...mir...weh...getan“, schluchzte sie und zog die Decke dann noch enger um sich. Mehr konnte sie ihm gerade nicht erklären. Hoffentlich würde er das verstehen.

„Tut…mir…leid.“ Er runzelte die Stirn. Wofür entschuldigte sie sich denn jetzt? Wenn sie weinte, hatte ja wohl eher der Arzt etwas getan, das sie nicht gewollt hatte. „I-ich...wusste...n-nicht...wohin…“ Als sie mit einem Laut, der eindeutig von Schmerzen geprägt war, wieder vom Bett aufsprang, war er noch viel besorgter. Was hatte MüWo getan? Fassungslos starrte er sie an. In seinem Kopf setzten sich die schlimmsten Bilder zusammen. „I-ich...e-er...h-hat...mir...weh...getan.“ Er stieß die Luft aus. Dass sie es so direkt aussprach, machte es noch viel schlimmer. Immer noch zitterte Helena und er ging langsam zu ihr. Er wollte sie nicht noch mehr verängstigen. Denn Helena war eindeutig vollkommen eingeschüchtert. „Shhh“, murmelte er und schloss sie vorsichtig in seine Arme. „Er kann dir hier nichts tun.“ Die Umarmung war nur ganz locker. Er wollte sie nicht bedrängen.

„Shhh.“ Sie ließ sich einfach gegen ihn fallen, als er sie umarmte. Zuvor hatte sie ihre ganze Beherrschung aufbringen müssen und jetzt hatte sie einfach keine Kraft mehr. „Er kann dir hier nichts tun.“ Schluchzend vergrub sie ihr Gesicht in seinem T-Shirt. Sie wollte nicht, dass jemand etwas schlechtes über MüWo dachte. Dafür wäre ihr Gewissen gar nicht in der Lage. Sie hätte ihm sagen müssen, dass er hätte aufhören sollen. Aber dafür war sie zu schwach gewesen. Und sie hatte jetzt schon Angst ihm wieder unter die Augen zu treten. Sie hatte ihn auf eine Art und Weise kennengelernt, die sie so gar nicht sehen wollte. Der liebevolle Arzt war völlig verschwunden und für den empfand sie doch eigentlich etwas. Aber das war gerade in die hintersten Ecken ihres Bewusstseins gerutscht.

Helena beruhigte sich nicht. Und er schwor sich, MüWo dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Selbst wenn er es irgendwie geschafft hätte, diese Beziehung zu akzeptieren…wie konnte er zulassen, dass sie wegen ihm weinte? Das war einfach nicht richtig. Behutsam strich er ihr über den Rücken. Auch wenn er noch so viel für sie empfand. Das musste er hintenan stellen. So schwer ihm das auch fiel, wenn sie so nah bei ihm war. „Möchtest du darüber reden?“, fragte er leise und lehnte sich ein Stück zurück, damit er sie ansehen konnte. Ihre dunklen Augen waren gerötet und lösten einfach einen Beschützerinstinkt in ihm aus. „Was ist passiert, dass er dir so wehtun konnte?“ Er sprach leise und blieb weiterhin mitten im Zimmer stehen.

Jürgen versuchte sie irgendwie zu beruhigen und sie war froh, dass sie zu ihm gegangen war. „Möchtest du darüber reden?“ Er lehnte sich zurück und sie sah aus verweinten Augen zu ihm auf. „Was ist passiert, dass er dir so wehtun konnte?“ Sie atmete tief durch und versuchte sich irgendwie zu beruhigen. „Ich hab ihn verärgert“, begann sie leise. „Er hat mich eingesperrt.“ Wieder musste sie schluchzen. Sie hatte eben wirklich Angst gehabt. „Und dann...und dann...hat er...mich...geschlagen“, sie konnte nur leise stammeln, weil ihr sonst wieder die Stimme wegbrechen würde. „Ich hab mich nicht gewehrt. Ich konnte es nicht.“ Sie wusste nicht, wie sie ihm den Rest erklären sollte. Das würde er nicht verstehen und sie verstand sich da selbst auch nicht. Sie hätte sofort 'nein' sagen müssen. Deswegen schwieg sie jetzt auch und senkte beschämt den Blick. „Es tut weh“, schluchzte sie leise.

„Ich hab ihn verärgert. Er hat mich eingesperrt. Und dann…und dann…hat er…mich…geschlagen.“ Er keuchte fassungslos. Dafür könnte man ihm wer weiß was für eine Strafe auferlegen. Und doch würde es Helenas Erinnerungen daran nicht auslöschen. Das war genau das, was ihn eine unbändige Wut auf den Arzt entwickeln ließ. „Ich hab mich nicht gewehrt. Ich konnte es nicht. Es tut weh.“ Er wusste nicht, was er sagen sollte. Zu verstörend waren die Bilder. Und er hatte MüWo gestern noch gebeten, sich um einen seiner Spieler zu kümmern. Er war als Arzt doch gar nicht mehr tragbar. „Du bist hier sicher. Ich lasse nicht zu, dass dir irgendjemand etwas tut“, murmelte er und hauchte ihr einen vorsichtigen Kuss auf die Stirn. Sie war eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, auf das man aufpassen musste. Sein Mädchen. Der Gedanke ließ ihn innerlich lächeln. Auch wenn sie das nie so sehen würde. Er würde alles dafür tun, dass es ihr gut ging.
Vorsichtig löste er die Umarmung und schob sie erneut zum Bett. Er wusste nicht wirklich, was er gegen ihre Schmerzen tun konnte. Aber Ruhe hatte noch niemandem geschadet. Er rutschte in die Mitte und zog Helena vorsichtig mit sich, bis sie mehr oder weniger auf ihm lag. Er konnte nur hoffen, dass sie diese Nähe jetzt wollte. Wieder streichelte er beruhigend über ihren Rücken. Hier würde ihr nichts passieren. „Der Schmerz wird vorüber gehen“, murmelte er leise. Zumindest der körperliche.

„Du bist hier sicher. Ich lasse nicht zu, dass dir irgendjemand etwas tut.“ Das würde MüWo auch eigentlich nicht und trotzdem war sie vor ihm weggerannt. Der Kuss auf ihrer Stirn ließ sie lächeln und wieder einmal wurde ihr bewusst, wie viel er für sie empfand. Aber da konnte sie gerade nicht drüber nachdenken. Als er sie zum Bett zog, sah sie ihn unsicher an. Er wusste doch, dass sie jetzt nicht sitzen konnte. Aber er zog sie nur mit sich auf das Bett. Auch wenn die Nähe gerade seltsam war, war sie froh, dass er für sie da war. Sie schloss die Augen, als er ihr über den Rücken streichelte. Gerade fühlte sie sich einfach nur sicher. Diese Sicherheit hatte MüWo ihr noch vor kurzem gegeben. „Der Schmerz wird vorüber gehen.“ Das würde er sicher irgendwann. Er hatte sie ja nicht ernsthaft verletzt. Also irgendwie schon. Aber weniger körperlich. „Danke, dass du da bist“, murmelte sie leise und legte ihren Kopf auf seiner Brust ab. Vielleicht konnte sie ein wenig dösen und Jürgen würde ihr das hoffentlich nicht übel nehmen.

„Danke, dass du da bist.“ Er lächelte sanft. Das war selbstverständlich. Zumindest in seinen Augen. Auch wenn andere das scheinbar ganz anders sahen. Aber wie hatte MüWo das tun können? Er verstand es nicht. Und vermutlich würde er es auch nie verstehen. Egal, was er ihm sagen würde. Beruhigend ließ er seine Hand weiter über Helenas Rücken wandern und strich dann und wann auch durch ihre Haare. Er würde auf sie aufpassen. Egal, was Per ihm auch vorgeworfen hatte. Es entsprach nicht der Wahrheit.

Immer wieder verirrten sich ein paar einzelne Tränen über ihre Wangen und tropften auf sein T-Shirt. Sie wollte nicht, dass Jürgen etwas falsches von MüWo dachte, aber eigentlich hatte sie auch mit jemandem sprechen wollen. Und sie war sich sicher, dass ihr das im Nachhinein nicht gefallen hatte. Zumindest redete sie sich das ein. Denn das konnte nicht sie gewesen sein. Langsam wurde sie ruhiger, als er über ihren Rücken strich und hin und wieder auch mal durch ihre Haare strich. „Ich glaube, ich fahre nach Paris.“

Er war erleichtert, als er merkte, wie Helena ruhiger wurde und die Schluchzer langsam verstummten. Sie bräuchte dringend jemanden, mit dem sie reden konnte. Und so sehr er auch in ihrer Nähe sein wollte, er wäre wohl nicht der Richtige. So sehr er es auch sein wollte. „Ich glaube, ich fahre nach Paris.“ Überrascht richtete er sich etwas auf und sah sie an. „Was?“ Wie kam sie denn so plötzlich auf diesen Gedanken? Und doch merkte er, wie wenig er von ihr wusste. Sie könnte dort Verwandte haben. Oder Freunde. Oder eine besondere Beziehung zu dieser Stadt. „Bist du sicher, dass du jetzt alleine irgendwo hinfahren kannst?“

Er setzte sich auf und da sie auf ihm lag, musste sie das ebenfalls und biss sich fest auf die Lippe. Es war nicht mehr so schlimm wie eben, aber immer noch wirklich unangenehm. „Bist du sicher, dass du jetzt alleine irgendwo hinfahren kannst?“ Sie hatte sich entschieden. Auch wenn es eben nur eine spontane Idee gewesen war. Es würde ihr sicher guttun. „Ich fahre heute Abend. Ich kann nicht hier bleiben.“ Sie musste einen freien Kopf bekommen und das am besten alleine. Und sie sollte sich jetzt schon darum kümmern. Vorsichtig stand sie auf und wischte sich über die Wangen. Bis heute Abend würde sie das alles regeln.

„Ich fahre heute Abend. Ich kann nicht hier bleiben.“ Er hörte an ihrer Stimme, dass sie das ernst meinte und doch war ihm nicht ganz wohl bei dieser Sache. Helena wollte für mehrere Stunden alleine durch Frankreich reisen. Obwohl es ihr schlecht ging. Aber er konnte hier auch nicht weg. Die Mannschaft brauchte ihn. Und vermutlich hätte sie es auch gar nicht gewollt, wenn er sie begleitete. Aber vielleicht würde sie eines zulassen. „Darf ich dich zum Bahnhof bringen?“ So könnte er zumindest sicher gehen, dass sie sicher im Zug saß.

„Darf ich dich zum Bahnhof bringen?“ Sie seufzte leise und ging dann zu ihm. Er war so lieb zu ihr, obwohl er sie auch noch halbnackt mit MüWo erwischt hatte. Vorsichtig umarmte sie ihn. „Ich schick dir eine SMS. Danke für alles.“ Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und verschwand dann aus seinem Zimmer. Wenn sie ihn jetzt noch mehr verwirrte, würde das wieder nicht gut enden. Als sie Zuhause war, buchte sie ein Hotelzimmer und die Fahrkarte. Sie würde um 10 Uhr fahren und wäre dann morgens um 6 Uhr da. Schnell schrieb sie eine SMS an Jürgen.

Mein Zug geht heute Abend um 10. Wenn dir das zu spät ist, musst du mich nicht bringen. Ich weiß ja, wie stressig die Zeit während der EM ist