Mr. Wet-Look

Zitternd saß er an seinem Schreibtisch und starrte auf sein Handy. Seine Gedanken drehten sich viel zu schnell. Wie hatte sie ihm per Telefon sagen können, dass sie...Er verkrampfte sich und ein Schluchzer entwich seiner Kehle. Es war als müsste er sich zusammenreißen, weil er spürte, dass er gerade innerlich zerbrach. Man hatte ihm den Boden unter den Füßen weggerissen. „Silke“, hauchte er ihren Namen und vergrub sein Gesicht dann in seinen Armen. Wie hatte es soweit kommen können? Er hatte doch nicht so versagt. Ihre Ehe war so stabil gewesen. Es schien als könnte sie einfach nichts und niemand erschüttern. Und dann erklärte sie ihm, dass sie nicht mehr mit ihm zusammenleben könnte. Er hätte sich verändert und...An den Teil konnte er sich kaum noch erinnern. Allein die Botschaft war schrecklich. Er hatte schon viele grausame Situationen durchlebt, aber bei dieser wusste er einfach nicht, wie er den Schmerz bekämpfen konnte. Es gab keine Lösung. Er war allein. Silke hatte ihn verlassen. Sein Herz war gebrochen
Irgendwann war er ins Badezimmer gegangen und hatte sich im Spiegel angesehen. Seine Augen waren nicht rot, aber seine Augenfarbe schien sich verändert zu haben. Die Person vor ihm starrte ihn selbst aus leeren Augen an. Das konnte nicht er sein. So blass hatte er sich noch nie gesehen. Als er dann ein Klopfen hörte, schloss er schnell die Badezimmertür ab. Niemand sollte ihn so sehen. Er wollte sich so auch nicht sehen. Hansi Flick hatte sich immer unter Kontrolle. Immer. Wütend schlug er gegen den Spiegel. Das war nicht er. Jemand spielte ihm einen Streich. Er setzte sich auf den Badewannenrand. Das war kein Spiel. Seine Frau hatte ihn verlassen und gab ihm die Schuld. Und er selbst tat das auch. Wieder liefen einzelne Tränen über seine Wangen. Seine Hand war ihm völlig egal. Der Schmerz erreichte ihn gar nicht.

Von innen war nichts zu hören. Das war ungewöhnlich. Hansi war nicht beim Essen und auch nicht in seinem Zimmer. Hier stimmte etwas ganz gewaltig nicht. Doch dann hörte er etwas, das nicht gut klang. Er drückte die Türklinke herunter und sah sich um. Hier war nichts. Kein Hansi und kein Zeichen dafür, dass er hier war. Das gab es doch nicht. „Wo steckst du?“ Als er Geräusche aus dem Bad vernahm, runzelte er die Stirn. „Hansi?“, rief er und klopfte an. „Alles okay?“ Wieder kam keine Reaktion und er schüttelte nur den Kopf. Erneut öffnete er einfach die Tür und erschrak. „Hansi“, stieß er heiser aus. Mit zwei schnellen Schritten war er bei ihm. Dann hatte er sich nicht verhört, als er einen Schlag vernommen hatte. Der Boden war mit kleinen Scherben übersät und von Hansis Hand tropfte das Blut in einem kleinen Rinnsal. Doch er stellte keine Fragen, weil ein Blick in das Gesicht seines Freundes genügte, um zu sehen, dass er ihm keine Antworten liefern würde. Deshalb führte er ihn nur zum Waschbecken und wusch die Wunden aus. Erleichtert stellte er fest, dass es keine große Verletzung war. Es waren viele kleine Risse, aber wenn er das richtig sah, reichte es gerade, wenn er etwas Salbe darauf verteilte. Nachdem er Hansi versorgt hatte, schob er ihn zurück ins Zimmer und setzte sich neben ihn auf das Sofa. Ohne ein Wort zu sagen, zog er ihn in seine Arme.

„Wo steckst du?“ Er wollte seinen Freund jetzt nicht sehen. Wieso konnte man ihn nicht mit seinen Problemen alleine lassen? Denn das war bei ihm Normalzustand und den wollte er beibehalten. „Alles okay?“ Er sah auf seine Hand. Der ging es nicht so gut, aber das könnte er auch selbst versorgen. Doch Jogi ließ ihn natürlich nicht in Ruhe und betrat das Bad. Danach ließ er ihn einfach machen und betrachtete sich in den Resten des Spiegels. Er musste wieder er selbst werden und seine Gefühle verdrängen. Die Weltmeisterschaft musste im Vordergrund stehen. Sein Blick wanderte wieder zu seiner verletzten Hand. Bis auf ein paar Risswunden schien nichts passiert zu sein. So stark hatte er ja auch nicht zugeschlagen. Irgendwie waren sie wieder in sein Zimmer gekommen und auf dem Sofa gelandet. Als Jogi ihn umarmte, legte er seinen Kopf auf seine Schulter und schloss die Augen. Einen kleinen Moment Ruhe konnte er sich gönnen. Ihre Freundschaft war ihm immer noch so vertraut im Gegensatz zum Rest seines Lebens, der ihm immer befremdlicher vorkam. Irgendwann schob er Jogi vorsichtig von sich. „Danke“, murmelte er leise und lehnte sich dann in die Kissen. Er würde seine Maske langsam wieder aufbauen müssen. Darin war er so unglaublich gut. „Ich komme gleich zum Essen.“ Damit stand er auf und legte einige Zettel zurück in ihre Mappen.

Er merkte, dass die Umarmung Hansi half. Aber seine Absicht, ihn so zum Reden zu bekommen, scheiterte. „Danke.“ Er sah ihn irritiert an. Hansi war zusammengebrochen und hatte den Spiegel zerschlagen. Er konnte doch jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. „Ich komme gleich zum Essen.“ Ungläubig beobachtete er, wie er seine Unterlagen sortierte, bis er seine Hände schließlich festhielt. „Hör auf“, bat er ihn leise und wartete, bis er ihn ansah. „Du bist mein bester Freund und ich kenne dich so gut, wie es sonst vermutlich nur Silke tut. Also sag ich dir, dass etwas nicht stimmt und du sagst mir bitte, was passiert ist.“ Auffordernd sah er Hansi an. Er würde ihm zuhören und wenn sie die ganze Nacht hier sitzen würden.

Er zuckte zusammen als Jogi seine Hände festhielt. „Hör auf.“ Er sah zu ihm und versuchte ihm stumm zu vermitteln, dass er nicht reden wollte. „Du bist mein bester Freund und ich kenne dich so gut, wie es sonst vermutlich nur Silke tut. Also sag ich dir, dass etwas nicht stimmt und du sagst mir bitte, was passiert ist.“ Als der Name seiner Fr...Exfrau fiel, wandte er den Blick ab. Jogi wusste nicht, dass etwas in dieser Hinsicht passiert war und trotzdem erwähnte er sie. „Es gibt nichts zu sagen.“ Er entzog ihm vorsichtig seine Hände. „Ich hatte einfach einen verdammt beschissenen Tag und bin wütend geworden.“ Das entsprach sogar halbwegs der Wahrheit.

„Es gibt nichts zu sagen. Ich hatte einfach einen verdammt beschissenen Tag und bin wütend geworden.“ Er seufzte leise. Wenn Hansi seine Mauer um sich herum aufbaute, kam nicht einmal er an ihn heran. Also konnte er nur abwarten, dass er zu ihm kam. Er stand auf und nahm ein Eispack aus dem Kühlschrank, das er Hansi in die Hände drückte. „Wenn du reden willst, weißt du, wo du mich findest.“ Er umarmte ihn sanft und verließ dann das Zimmer. Er konnte ihn nicht zum Reden zwingen, auch wenn er ihm seine Antwort nicht abgekauft hatte. Seufzend ließ er sich in seinem Zimmer aufs Bett fallen und hoffte, dass sich alles wieder regeln würde.

Er war erleichtert, als Jogi ihm etwas zum Kühlen gab. Das tat wirklich gut. „Wenn du reden willst, weißt du, wo du mich findest.“ Sie beide wussten ganz genau, dass er nicht kommen würde. Er hatte sich wegen privater Dinge noch nie bei Jogi beschwert. „Das weiß ich.“ Erschöpft setzte er sich auf sein Bett. Diese Mauer kostete ihn alle Kraft. Deswegen legte er sich unter seine Decke und versuchte zu schlafen. Es gelange ihm zumindest für ein paar Stunden, Ruhe zu finden. Am nächsten Tag war er einer der Ersten am Platz und lief mit den Spielern zum Trainingsauftakt einmal am Strand entlang. Sie mussten sich fit halten, vor allem er selbst. Diese Trennung war schlimm und es würde ihn noch lange beschäftigen, aber deswegen durfte er sich äußerlich nicht gehen lassen. Bei den restlichen Einheit war er ungewöhnlich streng, aber er konnte es nicht ändern und so entließ er die ausgepowerten Spieler zu den Duschen.

Sie war verwirrt. Das alles bedeutete ihr mehr, als es sollte und vor allem durfte. Sie durfte nicht so mit ihrem Chef umgehen. Sie musste sich zusammenreißen. Und doch kam sie nicht umhin, ihn heimlich aus ihrem Zimmer zu beobachten, als er vom morgendlichen Trainingslauf zurückkam. Sie durfte nicht für ihn schwärmen und doch wusste sie, dass es aussichtslos war, dagegen anzukämpfen. Also konnte sie sich nur selbst eingestehen, dass sie eine Grenze überschritte hatte und gleichzeitig musste sie sich unter Kontrolle haben und ihn das nicht merken lassen. Seufzend verschwand sie unter der Dusche. Das war alles viel zu kompliziert. Sie würde arbeiten und sich von Julia und Steffi ablenken lassen. Das war ihr Vorsatz, als sie aus dem Bad kam und kurz darauf zum Frühstück ging. Als sie auf die Uhr sah, merkte sie, dass sie getrödelt hatte und rannte die letzten Meter. Doch es hatte sich wohl eine Schlange vor dem Speisesaal gebildet und sie lief in die letzte Person hinein. Sofort stieg ihr ein bekannter Geruch in die Nase. „Bitte nicht“, hauchte sie kaum hörbar und trat eilig zurück. „Entschuldigung.“

Er hatte selber noch einmal geduscht und dabei den Verband von seiner Hand gelöst. Der hatte ihn schon beim Training gestört. Eigentlich störte ihn gerade so ziemlich alles, aber er durfte sich das nicht anmerken lassen. Da er nach dem Essen noch ein Gespräch hatte, suchte er in seinem Portemonnaie nach der Visitenkarte des Gastes. Aber anstatt des kleinen Stück Papiers, fand er ein Bild seiner Frau. Sie beide hatten in einem Biergarten gesessen und mit ein paar Freunden einen schönen Abend verbracht. Kurz drohten ihn Tränen zu überfluten, aber dann zerriss er das Bild und ließ es in den Mülleimer wandern. Aufgewühlt eilte er Richtung Speisesaal und bemerkte eine lange Schlange vor dem Buffet. Er ging zuerst hinein und kontrollierte die Anwesenheit der Spieler. Dabei fiel ihm auf, dass eine der neuen Mitarbeiterinnen fehlte. Normalerweise war bei so etwas gnädig, aber heute würde man ihn auf dem falschen Fuß erwischen. Kaum hatte er sich wieder in die Schlange gestellt, wurde er auch schon angerempelt. „Sagen Sie mal“, fuhr er die Person und erkannte schnell, dass es sich um Frau Kramer handelte. „Entschuldigung.“ Er kniff die Augen zusammen. „Was? Dass Sie zu spät sind oder schon wieder durch ihre Tollpatschigkeit in mich hineingerannt sind?“ Kopfschüttelnd wandte er sich ab und verschränkte die Arme. „Passen Sie lieber auf. Nachher verletzen sie noch jemanden.“

„Sagen Sie mal.“ Sie zuckte zusammen. Sie hatte es doch nicht böse gemeint. „Was? Dass Sie zu spät sind oder schon wieder durch Ihre Tollpatschigkeit in mich hineingerannt sind? Passen Sie lieber auf. Nachher verletzen Sie noch jemanden.“ Bei jedem seiner Worte war sie weiter in sich zusammengesunken. Selbst wenn sie nicht für ihn geschwärmt hätte, hätten sie diese Worte verletzt. Er wusste doch, dass sie so ungeschickt war und es war auch keine Absicht gewesen. Warum musste er auch noch auf die Situation mit der Hängematte anspielen? Sie hatte ihm nie wehtun wollen. Die ganze Zeit war er so nett gewesen und sie wusste nicht, ob das nur gespielt war und er jetzt sein wahres Gesicht zeigte. Ohne ein Wort zu sagen, drehte sie sich um und stürmte aus dem Gebäude. Es war ihr egal, was die anderen von ihr dachten und ob man sie dafür rauswerfen würde. Seine Reaktion war ein Stoß direkt ins Herz. Schon auf dem Weg zum Strand liefen ihr einzelne Tränen über die Wangen. Aus dem Augenwinkel sah sie den Bundestrainer in ihre Richtung blicken, aber es war ihr egal. Sie wollte niemanden sehen und lief deshalb so weit, bis die Gebäude des Camps nicht mehr zu sehen waren. In einer kleinen Bucht ließ sie sich in den Sand fallen und hörte immer wieder seine Worte. Sie konnte sich doch nicht so in ihm getäuscht haben. Das ging einfach nicht.

Er hatte seine Runde am Strand entlang heute ausgedehnt. Er brauchte eine Lösung für Hansi. Deshalb kam er auch später als die Mannschaft zum Essen. Dass Frau Kramer an ihm vorbeigerannt war, verwirrte ihn zusätzlich. Aber im Speisesaal würde er hoffentlich Antworten bekommen. Er nahm sich nur eine Tasse Kaffee und setzte sich dann neben Hansi. „Wie geht es dir?“ Eigentlich brauchte er nicht zu antworten. Hansi setzte sich nie alleine an einen Tisch. „Und kannst du mir sagen, warum Frau Kramer nicht hier ist, sondern mir am Strand entgegen ist?“

Frau Kramer drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Speisesaal. Vermutlich war das auch besser für sie. Er hatte sich heute einfach nicht unter Kontrolle. Deswegen setzte er sich auch abseits an einen Tisch und versuchte irgendetwas zu essen, aber es gelang ihm nicht. „Wie geht es dir?“ Er zuckte zusammen. Seit wann konnte Jogi sich so gut anschleichen? „Und kannst du mir sagen, warum Frau Kramer nicht hier ist, sondern mir am Strand entgegen ist?“ Er zuckte bloß mit den Schultern. „Was kann ich dafür, wenn sie nicht mal einen Fuß vor den anderen setzen kann? Dann hat sie hier nichts zu suchen.“ Er nahm die Gabel erneut in seine rechte Hand und zuckte zusammen, als sich das kalte Metall und sein Wunden berührten.

„Was kann ich dafür, wenn sie nicht mal einen Fuß vor den anderen setzen kann? Dann hat sie hier nichts zu suchen.“ Er seufzte. „Hast du ihr das so gesagt?“ Dann wunderte ihn gar nichts mehr. Aber es zeigte auch, dass es Hansi nicht gut ging. Denn sonst hätte er sich nie so verhalten. „Beim besten Willen…du kannst nicht so mit jemandem umspringen. Frau Kramer ist mir entgegengekommen. Sie war völlig aufgelöst. Es würde mich nicht wundern, wenn sie geweint hat. Du bist der gutmütigste Mensch, den ich kenne. Du bist wütend wegen irgendwas…okay…aber lass das nicht an anderen aus.“ Er hatte die ganze Zeit leise gesprochen und doch gewusst, dass Hansi ihn hörte, auch wenn er mit seiner Gabel beschäftigt war.

„Hast du ihr das so gesagt?“ Er schüttelte den Kopf. Das hatte er nicht, obwohl seine Wortwahl vermutlich nicht viel besser gewesen war. „Beim besten Willen…du kannst nicht so mit jemandem umspringen. Frau Kramer ist mir entgegengekommen. Sie war völlig aufgelöst. Es würde mich nicht wundern, wenn sie geweint hat. Du bist der gutmütigste Mensch, den ich kenne. Du bist wütend wegen irgendwas…okay…aber lass das nicht an anderen aus.“ Für einen Moment brach seine Mauer zusammen. Wieso musste Jogi zu ihm stehen, obwohl er so schrecklich mit seinen Mitmenschen umging? Doch dann wurde ihm bewusst, dass für diese Gefühle hier kein Platz war und Wut machte sich in ihm breit. „Und wieso dürfen andere es an mir auslassen?“ Er knallte sein Besteck auf den Tisch und funkelte ihn an. Was sollte dieses sinnlose Gespräch auch? Es würde absolut nichts ändern. Nichts an seiner Situation. Seinem Umstand. Seinen Gefühlen.

Er hielt die Luft an, als Hansi ihm für einen kurzen Moment seinen Schmerz zeigte. Lange würde er sich nicht mehr vor ihm verschließen können. „Hansi“, murmelte er und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Und wieso dürfen andere es an mir auslassen?“ Er runzelte die Stirn. Dann kamen sie der Sache doch näher. Er warf einen Blick durch den Raum, doch niemand beachtete sie. „Wer hat seine Wut an dir ausgelassen?“

„Wer hat seine Wut an dir ausgelassen?“ Er schüttelte den Kopf. Sie hatten doch geklärt, dass er nicht reden wollte. „Niemand. Es ist nichts.“ Damit stand er auf und verließ den Raum. Die Luft schien ihm die Kehle zuzuschnüren. Wenn er sich nicht unter Kontrolle hatte, würde er sich verraten. Aber langsam schien es ihm auch egal zu werden. Diese Leere in ihm sollte bloß verschwinden, dieses Gefühl, ein völliger Versager zu sein. Er atmete tief durch und ging dann Richtung Strand. Dieser Tag war einfach komplett überflüssig.

Sie hatte die Zeit vergessen und es war ihr egal, ob sie Ärger bekam. Sie war sensibel und nahm sich solche Vorwürfe zu Herzen. Und sie von dem Co-Trainer zu hören, war noch viel schlimmer. „Ich hätte nie herkommen sollen.“ Bisher hatte nichts funktioniert. Es hatte nur Probleme gegeben und das würde nicht besser, wenn die Mannschaft weiterkam. Am besten packte sie einfach ihre Sachen und flog zurück nach Deutschland. Sie stand auf und wollte zurückgehen, als sie jemanden sah, den sie zu gut kannte. Was machte er hier? Er durfte sie nicht sehen. Sie ging rückwärts, bis sie wieder im Schutz der Palmen war. Jetzt musste sie warten, bis der Trainer weg war. Genau so hatte sie sich das alles vorgestellt.

Er ließ sich in den warmen Sand fallen. Hier war niemand und deswegen konnte er seine Mauer hier brechen lassen. Er zog die Beine an seinen Körper und weinte. In jeder Situation hatte er sich auf Silke verlassen können. Sie war immer sein Rückhalt gewesen. Er hatte sie geliebt. In der letzten Zeit hatte er wenig Zeit zuhause verbracht, aber das war durch seinen Job passiert und jetzt hatte sie einfach alles beendet. Vermutlich steckte schon ein neuer Kerl dahinter. Jünger. Größer. Trainierter. Er konnte nicht verhindern, dass sich das Alter auch langsam bei ihm bemerkbar machte. Als er plötzlich Geräusch wahrnahm, flüchtete er sich in das Gebüsch und lehnte sich an seinen Baum. Und dass er hier gerade in Selbstmitleid versank, machte alles noch viel erbärmlicher.

Sie seufzte, als er sich in den Sand setzte. Sie wollte hier weg. Er musste sie nicht noch mehr demütigen. Doch er schien ihre stillen Wünsche nicht zu erhören. Als sie ihn plötzlich nicht mehr sah, ging sie ein paar Schritte näher und trat dabei auf einen Zweig. Sofort sah sie jemanden verschwinden. Lief er weg, weil er Geräusche hörte? So langsam wurde ihr das alles hier zu kompliziert. Doch dann könnte sie gehen und…Sie blieb stehen, als sie ein Handy im Sand liegen sah. Das konnte nur ihm gehören. Und sie wusste, dass sie es bereuen würde, aber sie hob es auf und drehte sich um. Sie würde es ihm bringen und gehen. Unsicher ging sie auf die Baumgruppe zu. „Herr Flick?“ Als sie ihn an einem Baum stehen sah, blieb sie stehen. Sie musste sich täuschen. Aber der Trainer sah aus, als wenn er geweint hatte. „Herr Flick?“, wiederholte sie um einiges besorgter und ging weiter zu ihm. All ihre Absichten hatten sich in Luft aufgelöst, weil sie ihn so niedergeschlagen sah. Vorsichtig hielt sie ihm das Handy entgegen. „Das lag dort vorne.“

„Herr Flick?“ Er zuckte zusammen. Schreckhaft war er übrigens auch geworden. Doch die Stimme kam ihm seltsam bekannt vor. Sie sollte ihn nicht so sehen. Er war ihr Chef. Da musste ihre Distanz zueinander gewahrt bleiben. „Herr Flick?“ Sie hatte ihn gesehen und würde wohl nicht so schnell weggehen. Vielleicht könnte er es als allergischen Anfall herunterspielen. „Das lag da vorne.“ Er sah auf ihre Hand, in der sie sein Handy hielt. „Danke“, murmelte er bloß knapp und mied ihren Blick. Seine Augen verrieten ihn jedes Mal. Das hatte er vor allem bei Jogi bemerkt. Wenn der ihn ansah, wusste er meistens Bescheid. Entschuldigen konnte er sich gegenüber Frau Kramer jetzt allerdings auch nicht. Es würde ihr sicher unehrlich erscheinen und das würde es nur noch schlimmer machen.

Die Tage rannten nur so dahin und Steffi hatte sich immer im Hintergrund gehalten, die Fotos vom Strandlauf der Mannschaft waren auf der Kamera gewesen und sie hatte sie gerade auf den Laptop übertragen. Steffi begutachtete die Bilder auf dem Laptop, den sie auf ihrem Schoß platziert hatte. Sie hatte sich auf die Terrasse des Haupthauses gesetzt und genoss die schöne Atmosphäre. Hier war wirklich ein Paradies für die Spieler geschaffen worden. Nachdenklich schloss sie die Augen und schlug sie erst auf, als es kurzzeitig dunkler über ihr wurde. "Hey," beschwerte sie sich und sah in das Grinsen von Per Mertesacker. "Du boykottierst grad meine Arbeit." Er ließ sich neben ihr nieder. "So, tue ich das?", fragte er grinsend und schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. "Nein, tust du nicht.", ich mach grad ne Pause. Ich hab überlegt, die Bilder in ein Video zu packen und mit Musik zu unterlegen. "Irgendwie hab ich das Gefühl die Fans da draußen sind große Liebhaber bewegter Bilder. Bloß weiß ich nicht, ob die Bilder reichen." Der Londoner kratzte sich am Kinn. "Zeig mal her, ich hab nicht wirklich viele Bilder gesehen." Steffi rückte näher an ihn heran und starte die Slideshow. Während er die Bilder musterte war er ihr unheimlich nah und sie sog heimlich seinen Duft ein. "Du machst echt tolle Fotos.", riss er sie aus ihren Gedanken. "Danke. Meinst du, das wird was, wenn ich die Bilder als Video mache?", fragte sie ihn neugierig. "Klar, du hast ja sowie so schon fast jede Sekunde von unserem Lauf als Momentaufnahme, das sollte hinhauen. Sag mir, wenn du Hilfe brauchst. Ich bin ja schließlich mit meinem Zimmer genau gegenüber.", sagte er augenzwinkernd und machte sich wieder auf den Weg und ließ Steffi verwirrt zurück.

„Danke.“ In ihr machte sich Wut breit. Konnte er sie nicht einmal mehr ansehen? Eben war ihm das doch auch nicht schwer gefallen. Doch sie konnte ihn nicht anschreien. Es lag nicht in ihrer Natur und darüber hinaus mochte sie den Trainer viel zu gerne, auch wenn sie es nicht durfte. Und etwas in ihr sagte ihr, dass sie ihn jetzt nicht alleine lassen durfte. Er hatte geweint. Und bestimmt war er nur deshalb so gemein zu ihr gewesen. Wenn es nicht so wäre, würde sie endgültig daran zerbrechen. „Es tut mir leid, dass ich zu spät beim Frühstück war und dass ich sie schon wieder umgerannt habe“, murmelte sie und drehte sich um. Jetzt konnte er ihr wenigstens nicht mehr vorwerfen, dass sie sich nicht entschuldigt hatte. Ohne ihn noch einmal anzusehen, setzte sie sich in den Sand und starrte auf das Meer hinaus.

„Es tut mir leid, dass ich zu spät beim Frühstück war und dass ich sie schon wieder umgerannt habe.“ Er sah ihr nach. Wieso war sie hier? Er hatte sie so angefahren und sie entschuldigte sich bei ihm. Das konnte er so definitiv nicht stehen lassen. Schnell hatte er sich über die Wangen gewischt und tief durchgeatmet. Irgendwie musste er sich erklären. Deswegen setzte er sich neben ihr in den Sand und folgte ihrem Blick. Das Meer konnte ziemlich beruhigend sein. „Sie müssen sich nicht entschuldigen“, begann er leise. „Ich habe nur einen schlechten Tag und darf das nicht an Ihnen auslassen.“ Er erinnerte sich an Jogis Worte und sah sie etwas genauer an. Ihre Augen waren ganz verquollen. Wenn er daran Schuld war, dass die junge Frau wegen ihm geweint hatte... „Haben Sie wegen mir geweint?“ Er sah sie besorgt an und hoffte, dass dem nicht so war.

„Sie müssen sich nicht entschuldigen.“ Sie hatte gehört, wie er sich neben sie setzte, aber angesehen hatte sie ihn trotzdem nicht. Und natürlich musste sie das. Er war ihr Chef und sie musste sich an die Regeln halten. Deshalb durfte er ihr auch eine Ansage machen. Ihre Gefühle durften wirklich keine Rolle spielen. „Ich habe nur einen schlechten Tag und darf das nicht an Ihnen auslassen.“ Sie zuckte nur mit den Schultern. „Schon okay.“ Was sollte sie auch anderes sagen? Als sie merkte, dass er sie musterte, wandte sie den Kopf zur Seite. „Haben Sie wegen mir geweint?“ Sie schloss die Augen und schüttelte dann den Kopf. Er hielt sie schon für tollpatschig und musste nicht auch noch glauben, dass sie so empfindlich war. „Ich hab nur Sand in die Augen bekommen“, murmelte sie schwach.

„Schon okay.“ Das konnte er ihr unmöglich glauben. Als sie den Kopf schüttelte, sah er sie genau an und bemerkte wie sie ihre Augen schloss. Da steckte also doch mehr dahinter. „Ich hab nur in die Augen bekommen.“ Er runzelte die Stirn. Da waren keine Spuren von Sand in ihrem Gesicht. Aber sollte er da jetzt weiter nachbohren? Er musste es wissen. Denn dann hatte er sie wirklich verletzt und das hatte er nie gewollt. „Sie können mir ruhig die Wahrheit sagen. Ich werde sie deswegen nicht verurteilen.“ Vielleicht würde er besser an sie herankommen, wenn er auch etwas von sich erzählte. Er verstand nicht warum, aber irgendwie wollte er ihr auch etwas von sich erzählen. Sie hatte immer so vertrauenswürdig gewirkt. „Manchmal werfen einen Kleinigkeiten schon aus der Bahn.“